Das literarische Motiv der Metamorphose betrifft immer Fragen der Identität und wird häufig zur Selbstbespiegelung der dichterischen Tätigkeit genutzt, denn auch diese ist eine Form der
Verwandlung. Aus der Lektüre Ovids läßt sich ein antikes Paradigma der Metamorphose gewinnen: In der Antike dient die Verwandlung zur Bestätigung von Identität und ist zugleich Medium poetologischer Selbstreflexion, die in der Erhöhung des Dichters bei Ovid gipfelt. Kontrastierend dazu erscheint das moderne Bild der Metamorphose als Infragestellung von Identität, was sich an den wissenschaftlichen und literarischen Diskursen
im Umfeld von Darwins Evolutionstheorie ebenso wie an der ins Bewußtsein verlegten Metamorphose bei Freud, Joyce und Broch zeigen läßt. In dieser Studie werden fast ausschließlich erzählende und
dichtungstheoretische Texte herangezogen: So wird auch Darwins Hauptwerk auf seine narratologischen Strukturen hin untersucht, während Freuds Traumdeutung und seine Arbeiten zur Literatur als Poetologie gelesen werden. Damit gelingt die Zuspitzung der Fragestellung auf Naturordnung und Dichtungstheorie,
wodurch die unterschiedliche Betonung der kontinuierlichen und diskontinuierlichen Elemente der Verwandlung in Antike und Moderne sichtbar wird.